Wie die Kunst entsteht

Große Transformation
Mysteriöse, taoistische und lustige Entstehungsgeschichte

Vor knapp zwei Jahrzehnten besuchte ich einen Freund, bei dem ich auch übernachten konnte. Er ist ein leibhaftiger Taoist, auch wenn er sich nie so bezeichnen würde. Er bereiste, als es noch keinen Massentourismus gab, die asiatische Welt, und seine Wohnung sah aus wie ein kleines völkerkundliches Museum.
Eines Morgens saßen wir gemeinsam an seinem Frühstückstisch und erfreuten uns an Kaffee und etwas zu beißen. Da sah ich sein Frühstücksbrett und äußerte mein Wohlgefallen. „Wenn du das einmal aussortierst, dann denk bitte an mich, das hätte ich gern“, sagte ich ihm. „Was willst du denn damit?“ fragte er zurück. Ich wusste keine Antwort.
Eine gefühlte Ewigkeit später, vielleicht 18 oder 20 Jahre, kam er eines Tages an und gab mir sein Frühstücksbrettchen. „Hier, das wolltest du doch haben.“
Es war arg ramponiert, hatte massiv Risse, war verbogen, teils gebrochen und sah reichlich verbraucht und gealtert aus. Es hatte ausgedient und Jahrzehnte gute Dienste geleistet. Ich weiß nicht, wie viele Tomaten, Zwiebeln, Schinken und Speck, Käse und Brot und Brötchen mit scharfem Messer auf dem Brettchen in mundgerechte Stücke zerkleinert wurden …
Nun besaß ich es, nahm es in meine Werkstatt und hatte, wie so häufig, keine Ahnung, was ich damit anstellen sollte. So lag es erstmal einige Monate einfach nur rum.
Irgendwann nahm ich es in die Hand und dachte: „Einst hast du mir so gefallen und nun weiß ich gar nicht, was ich mit dir anstellen soll. Naja, ich fang jetzt erst mal an, dich abzuschleifen. Huch, was ist denn das? Ich habe das Gefühl, alle jahrzehntelang gesammelten Gerüche kommen durch das Abschleifen wieder aus dem Holz hervor.“ In meiner Werkstatt roch es nach Apfel, Gurke und Salami und Käse – Frühstück eben.
Als ich mit meiner Oberflächenschleiferei fertig war, begann ich, die maroden Stellen entweder zu entfernen oder auszubessern. Und als ich nach ein paar Stunden fertig war, hatte ich ein ganz lebendiges Stück Holz vor mir liegen. Wunderschön.
Alles Weitere geschah wie von selbst, und das Kunstwerk entstand. Ich bin häufig selbst ergriffen, was dabei herauskommt und staune nicht schlecht …
Aber das ist noch nicht die ganze Geschichte! Wie es so häufig mit außergewöhnlichen Kunstwerken ist, hatte es schnell einen Liebhaber gefunden und reiste weiter …
Das ehemalige Frühstücksbrettchen zog in eine ganz andere Gegend viele Kilometer entfernt, in ein Haus recht einsam gelegen an einem angrenzenden Wald.
Wieder vergingen Monate, bis die neuen Besitzer mir verkündeten: „Weißt du, wer jetzt unser neuer Nachbar ist? Ist das nicht derjenige, von dem du einst das Frühstücksbrettchen geerbt hast?“ Unglaublich – eine einsame Gegend, wenige Häuser, zig Kilometer entfernt, und mein Freund zieht genau in das Nachbarhaus der neuen Frühstücksbrettchenliebhaber. Ich sagte: „Wenn ihr euch nachbarschaftlich angefreundet habt, dann zeigt ihm doch mal das Frühstücksbrettchenkunstwerk – mal sehen, ob er es wiedererkennt.“ Und der Tag kam, und mein Freund erkannte es auf Anhieb. „Ach, da bist du ja.“ Seltsam fürwahr, wie die Dinge doch geschehen …

 

Kreuz-Mensch

Vor einiger Zeit starb mein Schwiegervater, und einige Monate darauf ist mein Vater gestorben.
In dieser Phase verspürte ich den Drang, Kreuze zu malen bzw. zu machen. Aber keine „Leidenskreuze“ oder Marterinstrumente, sondern sie sollten eher den Aspekt der Auferstehung, der Unsterblichkeit oder – banaler – des ewigen Wandels symbolisieren. Aus diesem Grundgedanken heraus entstand auch der Kreuz-Mensch. Ist es ein Mensch? Ist es ein Kreuz? Ist es ein Baum mit Früchten? Alles zusammen oder nichts von alledem. Wie so häufig, weiß ich nicht, was mich da so geritten hat, aber allein der künstlerische Prozess war schon eine Transformation für sich. Danke an die Toten, danke an die Lebenden – wir sind eins.

 

Blumenmeer

Meine Frau hatte die Nase voll. Wir tranken aus Holzbechern, aßen aus Holztellern mit Holzlöffeln und unsere frischen Salate kamen in einer großen Holzschale auf den Tisch. „Jetzt reicht’s! Ich will das Holzzeug nicht mehr in der Küche sehen, sondern wie jeder normale Mensch aus Glastassen und von Porzellantellern essen.“
Und pötzlich hatte ich viel Holzzeug aus meiner Küche in meiner Werkstatt. Ich schnitt mit meiner Kreissäge erst einmal ein paar längliche Stifte, dann schnitt ich mit meiner Stichsäge einige Halbkreise. Damit begann ich auf einer Holzplatte zu experimentieren. Ich hatte nicht im Sinn, etwas Florales oder Maritimes zu werken. Aber wie es so häufig ist, fügen sich die Dinge wie von Zauberhand. So entstand Blumenmeer ganz spielerisch, wie von selbst.